Funktionale Herzbeschwerden – Wenn das Herz pocht, ohne krank zu sein

Wie Physio- und Ergotherapie bei Herzsymptomen ohne organische Ursache helfen können

Ein Stolpern in der Brust, ein plötzliches Herzrasen, ein Engegefühl – und doch zeigt das EKG: Alles ist in Ordnung. Funktionale Herzbeschwerden gehören zu den häufigsten körperlichen Symptomen ohne klare organische Ursache. Für die Betroffenen ist das oft schwer zu verstehen – und noch schwerer auszuhalten.

Trotz unauffälliger Befunde erleben sie Herzstolpern (Extrasystolen), Tachykardien, Druck auf der Brust oder Atemnot. Die Symptome sind real – auch wenn sie nicht durch eine Herzerkrankung verursacht werden. In vielen Fällen liegt die Ursache nicht im Herzmuskel, sondern im Nervensystem.

Was sind funktionale Herzbeschwerden?

Funktionale Herzbeschwerden (auch somatoforme kardiale Beschwerden genannt) sind Symptome wie:

  • Herzrasen (Tachykardie)

  • Herzstolpern (Extrasystolen)

  • Druck- oder Engegefühl im Brustkorb

  • Atemnot oder das Gefühl, „nicht durchatmen zu können“

  • Schwindel, Zittern, Unruhe

...ohne dass eine strukturelle Herzkrankheit vorliegt. Meist lassen sich die Beschwerden im Rahmen eines kardiologischen Check-ups nicht erklären. Die Ursache liegt oft im Zusammenspiel von:

  • vegetativem Nervensystem (Sympathikus/Parasympathikus),

  • emotionalem Stress,

  • Körperwahrnehmung und

  • psychosomatischer Belastung.

Warum das Herz (scheinbar) verrückt spielt

Das Herz wird stark vom vegetativen Nervensystem gesteuert – insbesondere durch den Vagusnerv. Bei Dauerstress, chronischer Anspannung, Schlafmangel oder emotionaler Belastung gerät das System aus dem Gleichgewicht. Die Folge:

  • Der Sympathikus (Stressnerv) wird überaktiv → Herzfrequenz steigt

  • Der Parasympathikus (Beruhigungsnerv) verliert seine Wirkung → Herzrhythmus wird unregelmäßiger

  • Die Körperwahrnehmung wird hyperaktiviert → jede kleine Veränderung wird „bedrohlich“ interpretiert

Das Gehirn liest Körpersignale durch die Brille der Angst – und das Herz reagiert prompt.

Der Körper erinnert sich – funktionelle Beschwerden als Ausdruck innerer Spannungen

Funktionale Herzbeschwerden entstehen häufig im Rahmen von:

  • chronischem Stress, Überforderung, innerem Druck

  • Panikattacken und Angsterkrankungen

  • posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS)

  • emotionaler Hochsensibilität

  • Erschöpfung (Burnout, ME/CFS, Long Covid)

Der Körper wird zum Ausdrucksorgan innerer Zustände. Und oft ist das Herz – als Symbol für Verletzlichkeit, Nähe, Lebenskraft – besonders empfänglich.

Therapie: Was Physio- und Ergotherapie bewirken können

Auch wenn keine organische Erkrankung vorliegt, kann die Therapie viel bewirken. Ziel ist es, das Nervensystem zu beruhigen, die Körperwahrnehmung zu normalisieren und Sicherheit im eigenen Erleben zurückzugewinnen.

🟢 Physiotherapeutische Ansätze

  • Atemtherapie & Vagusaktivierung:

    • langsame Ausatmung (4–6 Atemzüge/Min.), Atemanker bei Panik, Atemräume spüren

    • Atem + Bewegung kombinieren (Medical Yoga, aktive Mobilisation)

  • Tonusregulation & vegetative Balance:

    • Übungen zur Entspannung (PMR, Faszien-Release), Wärme, Körperkontakt

  • Herzfrequenz-orientiertes Bewegungstraining:

    • sanftes Ausdauertraining im Bereich unterhalb der Reizschwelle

    • HRV-Training mit Biofeedback (z. B. Oura, Whoop, Polar)

  • Pacing und Energiemanagement:

    • dosierter Belastungsaufbau, Bewegung ohne Überforderung

🟡 Ergotherapeutische Perspektive

  • Stressanalyse & Alltagsstruktur:

    • Wie viel Spannung, Leistung und Reiz gibt es im Tag?

  • Pacing im Alltag & Beruf:

    • Mini-Pausen, Rhythmisierung, Reizreduktion (z. B. Geräusche, Licht, soziale Interaktion)

  • Selbstwirksamkeit stärken:

    • Bewegung als beruhigende Kraft erleben

    • Atem- und Körperübungen als „Notfallkoffer“ bei Symptomen

  • Umgang mit Angst vor Symptomen:

    • edukativ, validierend, langsam über Exposition

Das Herz will gehört werden – nicht nur gemessen

Ein funktionell reagierendes Herz braucht Verständnis – nicht nur medizinische Kontrolle. Für viele Betroffene ist es eine Erleichterung zu erfahren, dass die Symptome real sind, aber nicht gefährlich. In der Therapie steht nicht die Suche nach einer „Heilung“ im Vordergrund, sondern der Aufbau von Körpersicherheit, vegetativer Stabilität und emotionaler Selbstregulation.

Fazit: Das Herz schlägt für dich – nicht gegen dich

Funktionale Herzbeschwerden sind Ausdruck einer gestressten Innenwelt. Sie entstehen nicht aus Schwäche, sondern aus einem überforderten System. Physio- und Ergotherapie können helfen, das eigene Herz neu kennenzulernen – nicht als Angstort, sondern als vertrauensvollen Taktgeber des Lebens.

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