PTBS und Schmerz – Wenn der Körper Erinnerungen speichert

Wie Physio- und Ergotherapie Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung begleiten können

Traumatische Erfahrungen hinterlassen Spuren – nicht nur in der Psyche, sondern auch im Körper. Viele Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden unter chronischen Schmerzen: Kopf, Rücken, Bauch oder Gelenke schmerzen, obwohl medizinisch oft keine eindeutige Ursache zu finden ist. Die Erklärung liegt häufig nicht im Gewebe – sondern in der Verbindung von Nervensystem, Körpergedächtnis und unvollständig verarbeiteten Erinnerungen.

Schmerz als Sprache des Körpers

Bei PTBS reagiert das Nervensystem in vielen Fällen dauerhaft überaktiviert. Der Körper bleibt im Alarmzustand: Muskeltonus steigt, Schlaf ist gestört, die Reizverarbeitung verändert sich. Schmerz wird schneller wahrgenommen, intensiver erlebt und schlechter reguliert. In vielen Fällen entwickelt sich eine zentrale Sensibilisierung – das Schmerzsystem feuert dauerhaft, auch ohne körperlichen Auslöser.

Gleichzeitig ist der Körper für viele Betroffene Ort des Traumas: Berührungen können bedrohlich wirken, innere Zustände wie Enge, Zittern oder Druck werden als Wiedererleben des Traumas empfunden. Schmerzen entstehen dadurch nicht nur physiologisch, sondern auch emotional und symbolisch.

Symptome, die häufig auftreten:

  • Chronische Schmerzen (Rücken, Nacken, Kopf, Becken)

  • Muskelverspannungen, „eingefrorene“ Haltung

  • Schlafstörungen, Erschöpfung, Antriebslosigkeit

  • Ängste vor Bewegung oder Berührung

  • Dissoziative Zustände unter Belastung

  • Somatische Stressreaktionen (Herzrasen, Atemnot, Schwindel)

Therapie beginnt mit Sicherheit

Für Menschen mit PTBS ist das wichtigste zuerst: Ein sicherer Raum. Nur wenn das Nervensystem spürt, dass keine Gefahr besteht, kann sich Spannung lösen. In der Therapie heißt das:

  • Transparenz: Jede Berührung, jede Übung wird erklärt

  • Kontrolle: Die betroffene Person bestimmt Tempo, Nähe und Intensität

  • Stabilisierung: Vor der Konfrontation steht die Selbstregulation

Physio- und Ergotherapie können viel bewirken – wenn sie angepasst sind

In der körperorientierten Arbeit mit PTBS braucht es weniger Reize, mehr Achtsamkeit. Der Fokus liegt auf:

🟡 Wahrnehmung statt Leistungssteigerung

Ein Training, das den eigenen Körper spürbar, steuerbar und vertrauenswürdig macht, wirkt oft tiefer als Kraft- oder Ausdauerprogramme.

🟡 Atemtherapie & vegetative Regulation

Bewusste Atmung, Vagusaktivierung, sanfte Bewegung und Erdung helfen, das überreizte Nervensystem herunterzufahren.

🟡 Körpergrenzen erfahrbar machen

Übungen zur Propriozeption, Kontakt mit der Umwelt (z. B. Barfußgehen, Ballübungen), bewusste Selbstberührung oder Yoga können helfen, den Körper wieder „als Heimat“ zu erleben.

🟡 Integration ins Alltagserleben

Schmerz- und Stressbewältigungstechniken im Alltag (z. B. Micro-Pacing, sichere Routinen, Mini-Rückzugsinseln) fördern Selbstwirksamkeit.

🟡 Kreative, nicht-verbale Methoden

In der Ergotherapie können gestalterische Prozesse, Musik, Rhythmus oder Bewegungsfluss neue Ausdruckswege eröffnen, wenn Worte fehlen.

Interdisziplinär denken: Körper und Psyche sind nicht zu trennen

Eine begleitende psychotherapeutische Behandlung ist bei PTBS unerlässlich. Körpertherapeutische Verfahren können nicht heilen, aber sehr wohl stabilisieren, funktionelle Symptome lindern und zur Verarbeitung beitragen.

Unsere Aufgabe als Therapeut*innen ist dabei nicht, „das Trauma aufzuarbeiten“, sondern den Körper zu beruhigen, die Selbstregulation zu fördern und eine therapeutische Beziehung zu bieten, die auf Vertrauen, Würde und Kompetenz basiert.

Fazit: Schmerz verstehen – Mensch sehen

PTBS ist mehr als eine psychische Diagnose. Es ist ein Zustand, in dem Körper, Nervensystem und Lebensgeschichte eng miteinander verflochten sind. Wenn Schmerz und Trauma zusammenkommen, braucht es keine Standardlösungen, sondern individuelle, achtsame, körperorientierte Begleitung.

Physio- und Ergotherapie können hier einen wertvollen Beitrag leisten: nicht nur zur Schmerzreduktion, sondern zur Stärkung des Körpervertrauens, zur Förderung von Selbstwirksamkeit – und manchmal auch als erste Brücke zurück ins Leben.

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