Zwischen Voodoo, Placebo & Palmenblatt
Ein augenzwinkernder Blick auf nicht-evidenzbasierte Therapieverfahren – zwischen Placebo, Praxisalltag und Palmblattdiagnostik
Wir leben in einer Zeit, in der man Rückenschmerzen mit Klebeband behandeln, Energieblockaden durch sanftes Kieferwippen lösen und Krankheitsursachen aus der Flugbahn eines Hühnerknochens lesen kann. Klingt schräg? Ist es manchmal auch. Und dennoch – viele dieser Verfahren sind beliebt, verbreitet, bunt beklebt, zertifiziert und gut gemeint.
In der therapeutischen Praxis begegnen uns tagtäglich Methoden, deren Wirksamkeit wissenschaftlich eher im Bereich der Poesie liegt – aber die trotzdem etwas mit den Menschen machen. Höchste Zeit also für einen Blogartikel, der sich nicht nur fragt, ob das alles wirkt – sondern was da eigentlich genau passiert.
1. Kniseo-Tape
Der Klassiker unter den placebofarbenen Hoffnungsträgern
Lila gegen Nackenschmerzen, Türkis bei Menstruationsbeschwerden, Schwarz für mehr Professionalität. Das Tape klebt alles – und löst manchmal sogar was. Ob es die Faszie anhebt, das Lymphsystem stimuliert oder einfach nur gut aussieht: Studienlage kritisch, Anwendungsfreude grenzenlos.
👉 Therapeutisches Fazit: Wenn der Patient sich danach „stabiler“ fühlt – warum nicht? Nur bitte nicht als Ersatz für Bewegung.
2. Craniosacral-Therapie
Sanftes Streicheln auf molekularer Ebene
Hier wird mit „minimalem Druck“ auf dem Schädel gearbeitet – angeblich spürt man rhythmische Bewegungen des Hirnwassers. Die Wissenschaft zuckt mit den Schultern. Die Anhänger sprechen von „tiefen Prozessen“. Manche schlafen dabei ein. Vielleicht ist genau das die Wirkung.
👉 Therapeutisches Fazit: Wer bei Nackenverspannung zarte Berührung sucht und keine Erwartung an Biomechanik hat – fein. Wer glaubt, damit Bandscheiben zu verschieben: kritisch nachfragen.
3. Diagnostisches balinesisches Hühnerknochen-Werfen
Wenn Schulmedizin zu konkret wird
Ein Verfahren, das in manchen Kreisen tatsächlich als Diagnoseinstrument verwendet wird. Der Knochenwurf sagt: Lendenwirbel 4 ist blockiert. Oder Sie haben Stress. Oder ein Ahnenproblem. Genau weiß man das erst, wenn die Knochen „richtig“ fallen.
👉 Therapeutisches Fazit: Spannend als anthropologische Erfahrung. Für Therapieplanung besser auf Befundung statt Federvieh setzen.
4. Ballessono Faszien-Matrix Therapie
Wir wissen nicht, was es ist – aber es klingt spirituell
Es geistert durch manche Webseiten als Methode mit Körper, Energie und Bewusstsein. Vielleicht ein Schreibfehler. Vielleicht ein gechannelter Begriff. Vielleicht ein Zustand nach zu viel Räucherstäbchen.
👉 Therapeutisches Fazit: Wenn du erklären kannst, wie’s funktioniert – herzlichen Glückwunsch. Wenn nicht: einfach freundlich nicken und Thema wechseln.
5. Flossing (ja, das heißt wirklich so)
Gummiband, Blutstau, Schmerzfreiheit?
Enge Gummibänder werden um Gelenke oder Muskeln gewickelt und dann in Bewegung gebracht. Die Idee: Durchblutung stoppen – und dann wieder freigeben. Der Effekt: oft überraschend positiv. Der Name: Kommunikationsproblem.
👉 Therapeutisches Fazit: Bitte nicht bei Menschen mit Gefäßerkrankungen oder Angst vor Gummibändern. Ansonsten? Ein spannender Reiz – bitte mit Augenmaß anwenden.
6. Palmblattbibliothek, Auralesen & Quantencodes
Für Fortgeschrittene mit WLAN im morphogenetischen Feld
Wenn das Tape nicht hilft und die Cranio nicht greift, kann man immer noch den Geburtsort in eine vedische Datenbank eingeben, Aurafelder mit einer Pendelkette vermessen oder einen QR-Code für Zellkommunikation ausdrucken lassen.
👉 Therapeutisches Fazit: Humor behalten. Haltung bewahren. Und wissen: Nur weil etwas nicht evidenzbasiert ist, heißt es nicht, dass es nichts bewirkt – aber es ist unsere Verantwortung, ehrlich mit dieser Grauzone umzugehen.
Fazit:
Zwischen Hokuspokus und heilsamer Beziehung
In der Therapie geht es nicht nur um Methoden, sondern auch um Beziehung, Berührung, Aufmerksamkeit – und manchmal um Hoffnung. Das bedeutet: Auch nicht-evidenzbasierte Verfahren können etwas bewirken. Aber nicht wegen ihrer Theorie – sondern wegen des Rahmens, in dem sie stattfinden.
Therapeutisch bleibt entscheidend:
Was hilft dem Menschen?
Was hat eine nachvollziehbare Wirkung?
Und wo kippt es in Irreführung, Ablenkung oder Geschäftemacherei?
Zwischen fundierter Physiotherapie und balinesischem Knochenwurf liegt ein weites Feld. Gut, wenn man es mit Humor betritt – und mit Haltung darin arbeitet.
Du bist Therapeut*in und möchtest fundiert mitreden – auch wenn es spirituell, esoterisch oder klebend wird?
Dann wirf einen Blick in unsere Fortbildungen – evidenzbasiert, praxisnah und augenzwinkernd:
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